Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Alexander Blume, Sohn & Gäste - Gospel, Soul & Blues im Moritzhof 05.08.2023 Wenn ich ein Konzert besuche, habe ich manchmal das Gefühl, alte Bekannte oder gute Freunde zu treffen. Es ist dann ein wenig wie ankommen, denn oft liegen Jahre zwischen den Konzertbesuchen. Im Falle von Alexander Blume sind es gar Jahrzehnte, in denen wir uns immer wieder einmal trafen. Zum letzten Mal im Sommer 2019 im Moritzhof ( HIER ). Dorthin möchte ich heute wieder. Alexander und Sohn Maximilian sind jetzt 25 Jahre gemeinsam unterwegs. Wieder einmal haben sie sich Gäste eingeladen, um einem mitreißenden Boogie- und Soul-Abend noch etwas mehr Pep verleihen zu können. Sowohl Sina Rien, die Bassistin aus Dresden, als auch die Soul- und Gospel-Sängerin Jana Wiesenthal, haben jede Menge eigene Intentionen im Gepäck. Ich bin neugierig, was mich erwartet. Doch zunächst stehe ich im Stau auf der Stadtautobahn: Unfall. Die Einheimischen nutzen, ein klein wenig unkonventionell, eine Zufahrt, um daraus eine Ausfahrt zu machen. Ich folge ihnen, gelange auf Umwegen doch noch zum Moritzhof und finde sogar einen freien Stuhl weit vorn. Uff, das war knapp! Der Saal der Scheune im Moritzhof ist bestens gefüllt, als das Trio Blume (p), Rien, (b) & Blume (dr) mit dem dezenten Blues „Seit Wochen schon auf Tour“ das Publikum aus seiner Erwartungshaltung erlöst. Es groovt, der Bass von Sina Rien summt sein erstes Solo und ich bin glücklich, nicht im Stau gescheitert zu sein. Alexander am e-Piano schiebt noch eine wilde Boogie-Hatz hinterher, bei der seine Finger freudig über die schwarz-weißen Tasten springen. Aufwärmphase beendet, Pfiffe gellen und mir geht’s gut – endlich wieder einmal live! Danach greifen die Musiker in die Mottenkiste, wo sie den „Steamroller Blues“ hervorholen. Eine alte Nummer von James Taylor, der sie eigentlich als Parodie gedacht hatte. Das spürt man heute nicht mehr, zumal das Teil mit der unbändigen Kraft einer „Dampfwalze“ sowie geilem Pianospiel von der Bühne herab rollt. Meine Füße wippen im Takt, mein Kopf nickt und die Kamera wackelt sch…egal, so muss es sein. Als kurz darauf Alexander Blume solo am Boogie- Woogie-Piano loslegt, brodelt die Stimmung in der Hütte bereits, man jubelt und die Masse feiert den Meister der Tasten. Dessen Finger bearbeiten schnell, wild und sehr dynamisch das Instrument. Man kann quasi sehen, wie der Boogie tief aus seinem Innern Funken sprüht und jeden ansteckt, der sich in Reichweite befindet. Das war schon vor über vierzig Jahren zu spüren, als ich Alexander mit Stefan Diestelmann auf den Postplatz Elsterwerda „gelockt“ hatte und dort beide live erleben durfte ( HIER ). Im Moritzhof spüre ich wieder Begeisterung pur, auf der Bühne und im Saal. Für mich fühlt es sich tatsächlich wie heimkommen aus einer Zeit an, die andere nur vom Hörensagen (oder gar nicht) kennen. Das eint mich gerade mit vielen hier in der Scheune und führt bei mir zu Glückgefühlen. Aus dem Trio wird ein Quartett, als Jana Wiesenthal hinzukommt. Alexander erzählt zuvor Geschichten aus seiner Kindheit und warum Jana mit ihm musiziert. Das macht er sehr einfühlsam und nicht ohne feinen Humor. Passend dazu gibt’s „That’s What Friends Are For“ als gemeinsames Klangerlebnis für uns. Den Pop-Song aus den 1980ern, am bekanntesten durch Dionne Warwick, macht sich Jana ganz zu Eigen und überrascht damit. Am besten allerdings gefällt mir, wie diese vier Musiker James Taylor’s „You’ve Got A Friend“ einen neuen, vom Blues und Soul getränkten, Anstrich verpassen. Da bin ich hin und weg. Es ist schlicht großartig, wie Jana diese große Ballade neu interpretiert. Ganz ohne Zweifel bringen die Dame am Bass sowie die Lady am Mikrofon frisches Flair auf die Boogie- und Soul-Bühne der beiden „Thüringer Blumen“. Mit „The Preacher“ setzt das Trio mit Jana noch einen drauf, lässt uns staunend lauschen. Erst einmal tief durchatmen. Dies ist auch die Stunde der Erinnerung und Würdigung eines ganz Großen des Metiers. Stefan Diestelmann war quasi „Entdecker“ des jungen Alexander Blume und förderte dessen Begabung. Der einstige treue Wegbegleiter des ostdeutschen Blues-Barden sitzt heute hier im Scheinwerferkegel und erweckt noch einmal, gemeinsam mit Sohnemann Maximilian, das längst vergessene Gefühl von einst noch einmal zum Leben. „Der Alte und die Kneipe“ klingt heute anders, kommt reifer und überlegter daher, aber drüben an der Hauswand steht noch immer „Wilhelm ist doof“. Mir ist, als müsste ich jetzt „’n Bier und ’ne Brühe mit Wurst“ bestellen, doch stattdessen bekommen wir Diestelmann’s „Bluesgeschichte“, ein feines Solo für Bass inklusive, angeboten. Oh, das tut verdammt gut und klingt, von zwei Mal Blume zelebriert, immer noch authentisch! Dem Rock-Rentner hat’s gefallen und glücklich gemacht. Zu „Up A Lazy River“ kann Alexander wieder eine (glaubwürdige) Geschichte, diesmal aus Göhringen, erzählen. Schade nur, dass der kleine Ort an der Werra und nicht am Mississippi liegt, aber dennoch ebenso „lazy“ und gemächlich dahin fließt, wie es die Pianotasten ahnen lassen. Musik kann leicht in andere Welt entführen! Da kommt auch eine der schönsten Soul-Balladen her. Jana Wiesenthal zeigt, dass man nicht Michael Bolton heißen muss, um „Lean On Me“ singen zu können. Die Nummer kann auch mit Frauenstimme verzaubern und wie! Es ist die einzigartige Mischung aus Soul, etwas Blues sowie ein Touch von swinging Jazz, mit dem das Blume-Trio plus Jana die Konzertbesucher begeistert. Das ist kein Mainstream, kein Allerlei aus’m Radio, sondern angenehme Kost mit dem Anspruch, sich darauf einzulassen zu wollen. Für hektische Party-Extase sind die meisten hier, inklusive meinereiner, ohnehin nicht (mehr) zu gebrauchen. Also schön relaxed, aber bitte vom Feinsten. So wie „Say A Little Prayer“, das mir noch bestens aus den späten 1960ern von Aretha Franklin in Erinnerung ist. Schön, die alte Soul-Nummer wieder einmal, wenn auch anders und zeitgemäß, zu hören. Als danach „When The Saints Go Marching In“ angestimmt wird, weiß ich, jetzt wird das Ende eingeläutet. Die Nummer swingt, der Boogie groovt und wir im Saal jubeln oder singen mit. Alter ist nur eine Zahl und meine ist gerade in Vergessenheit geraten. Es dauert eine Weile, ehe das Jubeln im Saal sich wieder in Ruhe wandelt. „Let The Good Time Roll“ ist als Zugabe angekündigt. Passt, denke ich, mir ist auch so. Alexander gibt den Tasten Vollgas und singt auch selbst. Das Echo kommt von Maximilian und der Widerhall aus dem Saal. Einfach großartig, wie die Hütte rockt und dann dem Klassiker „People Get Ready“ andächtig lauscht. Wieder ist es Jana, die beweist, dass man mit solchen Songs begeistern kann. Am Ende aller Zugaben noch den Ohrwurm „Down By The Riverside“, der diesem Abend die Krone der Gemeinsamkeit des Singens aufsetzt. Jetzt stehen die vier Musikanten, einschließlich zweier Damen, auf den Brettern der Scheune, sie halten sich bei den Händen und strahlen um die Wette. Boogie Woogie und Oldtime-Blues’n’Soul konnten für zwei Stunden die kleine Welt harmonisch erscheinen lassen. Als ich gehe, nehme ich einen Teil davon mit auf den Heimweg, aber nicht ohne mich von Alexander verabschiedet zu haben. Nach dem Konzert ist vor dem nächsten, sage ich, und darauf freue ich mich. Tschüß, ihr „Thüringer Blumen“ und alles Gute bis zum nächste Mal.